Keine Aggregatimplantation mehr ohne Risikostratifizierung

Neueste Studien zeigen: Bei Hochrisikopatienten reicht die Standard-Antibiotikaprophylaxe häufig nicht aus, um Infektionen bei kardialen Implantaten zu vermeiden. Ergänzende Maßnahmen wie die absorbierbare antibakteriellen TYRXTM-Hülle sind eine wirksame und sichere Lösung. Prof. Dr. Andreas Götte, Chefarzt der Medizinischen Klinik II, St.-Vinzenz-Krankenhaus Paderborn, plädiert für eine standardmäßige präoperative Risikostratifizierung für vulnerable Hochrisikokollektive in den Kliniken, um eine adäquate Infektionsprophylaxe sicherstellen zu können.

Die Zahl der Patienten, die mit einem aktiven kardialen Implantat versorgt werden, nimmt weltweit zu. In Deutschland wurden 2018 insgesamt 91.498 Schrittmacher und 34.448 implantierbare Kardioverter-Defibrillatoren (ICD) implantiert, hinzu kommen 19.095 Revisionen, Systemwechsel oder Explantationen.1  Mit dem Anstieg der Implantationsrate nimmt auch die Infektion von kardialen Implantaten deutlich zu. 

Standardmäßig kommt daher eine periprozedurale Antibotikaprophylaxe zum Einsatz. „Dabei kommt es auf die Wahl des Antibiotikums und auf den Zeitpunkt der Antibiotikagabe - 30 

Minuten vor Hautschnitt - an, damit bei Hautschnitt eine suffiziente Antibiotikakonzentration im Körper vorhanden ist“, betont Prof. Dr. Götte.

Trotz dieses Standards liegt das Infektionsrisiko bei 3,4% innerhalb von 12 Monaten, besonders hoch ist es mit 4,4% bei Revisionseingriffen.2  Die Therapie schwerer Infektionen ist komplex, mit bis zu 60.000 Euro je Patienten kostenintensiv2 und mit einer mehr als 3 x höheren Mortalität nach einem Jahr assoziiert.3  Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer wirksamen Infektionsprophylaxe bei der Implantation kardialer Implantate.

Standardprophylaxe reicht bei Hochrisikopatienten nicht aus

Neueste Studienergebnisse4  haben Hochrisikokollektive für Implantatinfektionen identifiziert. „Eine adäquate periprozedurale antibiotische Prophylaxe hat unbestritten eine erheblich positive Wirkung. Bei Hochrisikopatienten reicht das Standardvorgehen jedoch nicht aus“, konstatiert Prof. Dr. Götte. Bei Patienten mit einem PADIT-Score ≥6, die ein Infektionsrisiko von 2.83% mit sich bringen (Abb.), sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich.5,6 Insbesondere bei Hochrisikogruppen wie z. B. Dialysepatienten oder Immunsupprimierten stellen Tascheninfektionen eine enorme Gefahr dar. Auch gerade bei Revisionsoperation , wenn sich eine fibrotische Taschenhülle um das Erstaggregat gebildet hat, ist das Risiko einen Tascheninfektion erhöht. „Die Wirkung einer perioperativen systemischen Antibiotikagabe ist in diesen Fällen limitiert“, so Prof. Dr. Götte. „Man ist deshalb gut beraten, ergänzend zur Standardprophylaxe eine lokale Antibiotika-Applikation in die Tasche vorzunehmen.“

Ergänzende Maßnahmen bei Hochrisikogruppen

Eine Lösung ist es, das Aggregat zusätzlich mit der absorbierbaren antibakteriellen TYRX-Hülle zu versehen. Die TYRX-Hülle stabilisiert das Implantat und gibt über einen Zeitraum von sieben Tagen die antimikrobiellen Wirkstoffe Minocyclin und Rifampin in kontinuierlicher Konzentration lokal in die Tasche ab, bevor das Netz innerhalb von etwa neun Wochen vollständig abgebaut wird. 

Die TYRX-Hülle wurde weltweit bereits 500.000 Mal implantiert. Studienergebnisse wie die der WRAP-IT-Studie7  bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit dieses zusätzlichen Infektionsschutzes. Die globale Studie ist eine der größten kardialen Implantatstudien, die es je gab: Eingeschlossen wurden 6.983 Patienten aus 181 Zentren in 25 Ländern, die entweder einen Herzschrittmacher, ICD- oder CRT-D-Gerät neu erhielten oder bei denen ein Implantat ersetzt, aufgerüstet oder revidiert werden musste.5

Deutliche Senkung der Infektionsrate mit TYRX

Als primärer Endpunkt von WRAP-IT waren schwere Implantatinfektionen definiert, die innerhalb eines Jahres auftraten und die entweder zur Explantation des Systems, zu invasiven Prozeduren jeglicher Art, zu einer langwierigen Antibiotikatherapie (bei Inoperabilität) oder zum Tod führten. Der Einsatz von TYRX führte zu einer relativen Risikoreduktion von schweren Aggregatinfektionen um 40% gegenüber der Kontrollgruppe.5 

Noch deutlicher war der Unterschied bei Infektionen der Implantattasche. Hier betrug die relative Risikoreduktion 61% gegenüber der Kontrollgruppe.5 „Die Hülle tut exakt das, was man von ihr erwartet. Sie reduziert knapp zwei Drittel der Tascheninfektionen gegenüber der herkömmlichen Standardprophylaxe. Das ist ein bedeutsamer Effekt“, fasst Prof. Dr. Götte die WRAP-IT Ergebnisse zusammen. Die Langzeitauswertung zeigt, dass der Vorteil auch nach 36 Monaten erhalten bleibt.5

Die verbesserte Infektionsprophylaxe mit TYRX geht nicht zu Lasten der Sicherheit. „Manche Operateure scheuen den Einsatz von Fremdkörpern. WRAP-IT gibt wichtige Hinweise zur Sicherheit von TYRX“, konstatiert Prof. Dr. Götte. Nach 12 Monaten ergibt sich kein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko (6,0 vs. 6,9 %; p<0,001 für Nicht-Unterlegenheit) und führte bei einer prozeduralen Erfolgsrate von 99,7 % zu keinen Komplikationen durch den zusätzlichen Einsatz von TYRX.5 

Inzwischen empfiehlt ein internationales Konsensuspapier der European Heart Rhythm Association (EHRA) den Einsatz der TYRX-Hülle, um Aggregatinfektionen bei Hochrisikopatienten zu vermeiden.8  Prof. Götte begrüßt diese schnelle Reaktion der Fachgesellschaft: „Es ist erfreulich, wie progressiv und zügig reagiert wurde.“

Die präoperative Risikostratifizierung wird wichtiger

Für den operativen Eingriff bedeutet keine Veränderung: „Es ist vollkommen unkompliziert. Das Aggregat mit dem distalen Elektrodenanteil wird in die Hülle gegeben und eingebracht. Die OP-Zeit verlängert sich dadurch nicht“, beschreibt Prof. Dr. Götte das intraoperative Handling. Die entscheidende Änderung findet seiner Meinung nach durch eine präoperative Risikostratifizierung statt, indem sich durch neue Studiendaten wie PADIT und WRAP-IT das Risikobewusstsein der Operateure ändere. „Die zentrale Frage vor dem Eingriff sollte sein: Brauche ich bei diesem Risikopatienten eine ergänzende Infektionsprophylaxe?“ Gerade bei den Revisionsoperationen werde klar, dass der Eingriff auch infektiologisch bewertet werden müsse: „Früher hat man Wechseloperation als einfache Operation gesehen, da man keine Elektroden anlegen musste. Aus chirurgischer Sicht stimmt das. Aber aus infektiologischer Sicht ist es ein Risikoeingriff“, bekräftigt Prof. Dr. Götte. Seine Empfehlung: Die Kliniken sollten SOPs zur regelhaften Durchführung einer adäquaten perioperativen Infektionsprophylaxe erarbeiten. „Mit TYRX besteht bei definierten Hochrisikopatienten die Chance, sinnvoll einzugreifen, das Risiko zu reduzieren und Infektionen zu vermeiden.“ Mit zum Prozess gehöre es, neue Therapieformen wie TYRX adäquat mittels OPS (5-932.11/12) zu kodieren, um die Abrechnungsgrundlage zu schaffen und sie im System zu etablieren.

1

Markewitz, A., Bundesfachgruppe Herzschrittmacher und Defibrillatoren., Behrens, S. et al., Herzschr Elektrophys (2020). https://doi.org/10.1007/s00399-020-00732-5

2

Ludwig S et al., J Comp Eff Res 2018; 7(5): 483-492

3

Wilkoff BL, et al. Impact of CIED Infection: A Clinical and Economic Analysis of the Wrap-It Study. Presentation Su3088 at AHA Scientific Sessions 2019; Philadelphia, PA.

4

Krahn AD et al., J Am Coll Cardiol 2018; 72(24): 3098-3109

5

Birnie DH et al., J Am Coll Cardiol 2019;74(23):2845–2854

6

Birnie DH et al. J Am Coll Cardiol 2019; 76: corrections.

7

Tarakji KG et al., N Engl J Med 2019; 380(20):1895-1905

8

Blomström-Lundqvist C, Traykov V, Erba PA, et al., Europace 2020 Apr 1;22(4):515-549. doi: 10.1093/europace/euz246.