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Die Hernienchirurgie zählt zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen. Allein in Deutschland werden jährlich mehr als 350.000 Operationen durchgeführt. Trotz neuer Entwicklungen und Erkenntnisse bei Laparotomieverschlüssen ist die Narbenhernie nach wie vor die häufigste, spätpostoperative Komplikation nach abdominalchirurgischen Eingriffen. Geht man auf Basis der Studienlage von einer Inzidenz von 10-20% nach medianer Laparotomie aus, ergeben sich für Deutschland ca. 35.000 – 70.000 Fälle. Somit kommt der Prävention von Narbenhernien eine wesentliche Bedeutung zu, wie Univ.-Prof. Dr. René Fortelny, Leiter des Hernienzentrums am Wiener Wilhelminenspital, im Interview mit Medtronic schildert.
Welche Ursachen führen zu einer Narbenhernie nach Laparotomie?
Univ.-Prof. Dr. René Fortelny: In der Hauptsache sind es patientenabhängige, biologische Faktoren, die zu einer Wundheilungsstörung und damit zur Instabilität des Gewebes führen, so dass ein Narbenbruch nach einem abdominalchirurgischen Eingriff entstehen kann.
Einige Grunderkrankungen sind mit einem erhöhten Risiko für eine Narbenhernie assoziiert: Dazu gehören Adipositas, Diabetes mellitus oder auch Gefäßerkrankungen, die mit einer Störung des Kollagenstoffwechsels vergesellschaftet sind. So sehen wir z.B. ein hohes Narbenhernienrisiko von rund 30% nach Operation eines abdominalen Aortenaneurysmas. Dazu kommen exogene Risikofaktoren wie etwa der Nikotinabusus oder die Einnahme von Arzneimitteln (z.B. Kortisontherapie), die eine Wundheilung negativ beeinflussen und das Risiko für Narbenbrüche erhöhen.
Hier kann die prophylaktische Unterstützung der körpereigenen Narbenbildung durch ein synthetisches Mesh durchaus sinnvoll sein.
Welche Folgen bringt eine Narbenhernie mit sich?
Univ.-Prof. Dr. René Fortelny: Die Patienten kommen oft sehr spät mit großen Brüchen, nach dem Motto „watchful waiting“. Zu Beginn sind die Beschwerden noch gering, bis es dann zu starken Schmerzen und auch zu lebensbedrohlichen Situationen kommen kann. Narbenhernien gehen immer mit einer reduzierten Lebensqualität für den Patienten einher. Diese Patienten schneiden in den QoL-Scores schlechter ab, sind in ihren körperlichen Aktivitäten eingeschränkt und leiden sehr oft unter Folgeerscheinungen wie Depressionen. Je größer die Brüche, desto höher ist das Risiko für ein Auftreten von Komplikationen. Daher muss hinterfragt werden, ob Zuwarten eine gute Option ist.
Im ärztlichen Bereich erleben wir Fälle wie diesen: Zunächst wird – z.B. beim abdominalen Aortenaneurysma - die Aorta vom Gefäßchirurgen erfolgreich wiederhergestellt. Dann muss sich aber der Patient einer neuerlichen Operation beim Hernienspezialisten unterziehen, weil sich eine Narbenhernie entwickelt hat. Hier wäre eine engere, interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den chirurgischen Fachbereichen sinnvoll, um gemeinsam den Patienten-Outcome stärker in den Fokus zu rücken. Sollte zukünftig der „Pay for Performance“ Ansatz greifen, werden wir hier in jedem Fall umdenken müssen.
Wir stehen erst am Anfang gesundheitsökonomischer oder sogar volkswirtschaftlicher Aspekte in Betracht zu ziehen. Allerdings bringt der Einsatz eines präventiven Netzes lediglich einen Bruchteil der Kosten mit sich, verglichen mit dem Aufwand einer nochmaligen Operation inklusive Folgekosten wie z.B. eines Arbeitsausfalles.
In der Hernienprävention sprechen wir generell von einer Weichteilunterstützung, um Narbenhernien nach Laparotomie zu verhindern. Bei welchen Eingriffen ist Ihrer Meinung nach ein präventives Mesh vor allem indiziert?
Univ.-Prof. Dr. René Fortelny: Es gibt zwei Hochrisikogruppen, bei denen man aufgrund der Studienlage in Bezug auf eine prophylaktische Netzimplantation nach Laparotomie nicht lange überlegen darf. Zum einen sind das adipöse Patienten mit BMI-Werten von ≥ 27 kg/m2, zum anderen Patienten, die sich einem abdominellen Aortengefäßersatz unterziehen müssen. Darüber hinaus ergibt sich eine weitere Patientengruppe, wenn in der Anamnese eine Vorbelastung durch eine bereits erfolgte Hernienoperation besteht oder familiär eine entsprechende Vorbelastung vorliegt. Auch hier ist von einem erhöhten Risiko auszugehen.
Unabhängig von diesen klaren Indikationen, betrifft es letztlich alle Patienten, die ein erhöhtes Risiko entwickeln können. Es gibt erste Ansätze künftig Biomarker einzusetzen, die uns über ein Screening eine individuelle Risikostratifizierung ermöglichen werden. Aktuell ist das aber noch Zukunftsmusik.
Wie kann eine Narbenhernie nach medianer Laparotomie am besten verhindert werden?
Univ.-Prof. Dr. René Fortelny: Zuallererst kommt es auf Art und Technik des Bauchdeckenverschlusses an, um die Bildung einer Narbenhernie zu verhindern: Hier rät die Literatur zu einer Kurzstichtechnik mit einem spät resorbierbaren, elastischen Nahtmaterial. Zudem haben wir speziell für die genannten Risikogruppen wissenschaftliche Evidenz – z.B. durch den jüngst veröffentlichten PRIMA-Trial - für eine zusätzliche Verstärkung mit einem großporigen, permanenten, synthetischen Mesh in Onlay-Position.
Welche Vorteile sehen Sie in einem selbstfixierenden Mesh wie dem ProGrip?
Univ.-Prof. Dr. René Fortelny: Der Einsatzbereich in der Hernienchirurgie ist sehr breit, die Selbstfixierung bringt Vorteile. Das ProGrip Netz kann als Onlay-Mesh einfach und zeitsparend eingesetzt werden. Die Anwendung in chirurgischen Disziplinen, ohne spezielle Kenntnisse der Hernienchirurgie, ist technisch ohne erhöhtem Aufwand möglich. Mit Blick auf die erwähnte Risikogruppe der abdominalen Aortenaneurysmen ist dies eine einfache und zeitsparende Variante. Schließlich hat nicht jeder Gefäßchirurg die Möglichkeit, sich einen Kollegen aus der Hernienchirurgie dazu zu holen.
Wie sehen Sie die Zukunft der präventiven Versorgung von Narbenhernien?
Univ.-Prof. Dr. René Fortelny: Mein Eindruck ist, dass in Fachkreisen eine große Einigkeit darüber herrscht, Netze zur präventiven Stabilisierung zu verwenden. Das entspricht dem wissenschaftlichen Konsens. Gleichwohl werden offenbar noch viele Operationen mit Mittellinienschnitt – auch bei Risikogruppen - ohne den Einsatz prophylaktischer Netze gemacht. Der Grund dafür kann u.a. in der nicht adäquaten Abbildung dieser Eingriffe in den Vergütungssystemen liegen. Hier sitzen die Chirurgen zwischen den Stühlen: Wir sehen das Leid der Patienten, die Evidenz ist mehr und mehr vorhanden, aber die Finanzierung ist es noch nicht. Wir sind dabei, dies zu ändern.
Nicht zuletzt wird es darum gehen, diese Problematik stärker in das Bewusstsein aller chirurgischen Disziplinen zu bringen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu intensivieren.