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Auf dem Weg zum Standardverfahren
Nach zwölf Jahren klinischer Evidenz und Erfahrung nimmt renale Denervation (RDN) nun endlich Fahrt auf. Nach zwei erfolgreichen Machbarkeitsstudien 2017 und 2018 bestätigt nun die mit statistischer Power ausgestattete SPYRAL HTN-OFF Med Pivotal-Studie bei Patienten ohne Hochdruckmedikation die Wirksamkeit und Sicherheit der RDN zur Senkung des hohen Blutdruckes. RDN senkt den Blutdruck dabei kontinuierlich über den gesamten Tagesverlauf. Dieser durchgehend über 24 Stunden anhaltende Effekt hat wahrscheinlich positive Auswirkungen auf die kardiovaskulären Risiken von Hypertoniepatienten.
Bei der renalen Denervierung (RDN) werden mit dem Symplicity SpyralTM Multielektroden-Kathetersystem minimal invasiv überaktive Nervenstränge rund um die Nierenhauptarterie und um die distal-peripheren Gefäße mit Hilfe von Radiofrequenztherapie gezielt deaktiviert, um den Blutdruck zu senken.
Dass das Verfahren sicher und effektiv den Bluthochdruck senkt, konnten die beiden Machbarkeitsstudien SPYRAL-HTN OFF MED1 und SPYRAL-HTN ON MED2 bereits vor zwei Jahren bei Patienten ohne und mit antihypertensiver Begleitmedikation zeigen. Auf diese positiven „Proof of Concept“-Studien folgte nun im Frühjahr 2020 die Veröffentlichung der internationalen, randomisierten, prospektiven SPYRAL HTN-OFF Med Pivotal-Studie3. In dieser einfach verblindeten Studie wurde die Wirksamkeit der RDN ohne blutdrucksenkende Medikamente im Vergleich zu einem Scheineingriff geprüft. Sie dient der US-amerikanischen Food & Drug Administration als Zulassungsstudie, so dass RDN nun auf dem Weg ist, eine Standardmethode zur Senkung des Bluthochdrucks zu werden.
Wie schon bei der OFF-MED Pilotstudie, wurden für die Pivotal-Studie Patienten mit einem systolischen Praxis-Blutdruck zwischen ≥ 150 mmHg und < 180mmHg sowie einem diastolischen Praxisblutdruck ≥ 90mmHg eingeschlossen, die entweder bislang keine Antihypertensiva eingenommen hatten oder bei denen eine Unterbrechung der Medikamenteneinnahme während der Studienphase möglich war. Die Patienten wurden 1:1 randomisiert (RDN vs. Scheineingriff).
Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war die um die Basislinie bereinigte Veränderung des systolischen 24-Stunden-Blutdrucks bis 3 Monate nach dem Eingriff, der sekundäre Wirksamkeitsendpunkt die um die Basislinie bereinigte Veränderung des systolischen Praxis-Blutdrucks von der Basislinie bis 3 Monate nach dem Eingriff.
Für die Studie wurden die Daten von 331 Patienten evaluiert, von denen 166 für die RDN und 165 zur Scheinprozedur randomisiert wurden. Nach drei Monaten zeigten die Ergebnisse in der Gruppe der RDN-Patienten eine statistisch signifikante und klinisch relevante Senkung des systolischen Blutdrucks um 9,2 mmHg in der Praxismessung und um 4,7 mmHg in der ambulanten 24-Stunden Blutdruckmessung (ABDM).
Die Studie erreichte damit ihre primären und sekundären Wirksamkeitsendpunkte: Bei allen Blutdruckmessungen (ABDM und Praxis-Blutdruck, systolisch und diastolisch) war RDN dem Scheinverfahren überlegen.
Für Prof. Dr. Michael Böhm, Direktor der Klinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums des Saarlandes und Studienleiter der SPYRAL HTN-OFF Med Pivotal-Studie, ist das Resultat wie erwartet: „Die Ergebnisse bestätigen die der SPYRAL HTN-OFF MED Pilotstudie und sind damit eindeutig konsistent über die Zeit. Das bestätigt die Verlässlichkeit des Studiendesigns und die Wirksamkeit des Verfahrens auf die Pathophysiologie der arteriellen Hypertonie.“
Dabei wirkt RDN bei allen Patienten. Die Behandlungsunterschiede zwischen der RDN- und der Schein-Gruppe waren für den 24-stündigen systolischen Blutdruck bei den untersuchten Untergruppen konsistent, was auf die Wirksamkeit der RDN bei Patienten unterschiedlichen Alters, Geschlechts, Körpermassenindexes und Raucherstatus hindeutet. Bei Patienten mit einer höheren Ausgangsherzfrequenz war die Blutdrucksenkung nach RDN etwas stärker (wenn auch nicht signifikant), was zuvor veröffentlichte Ergebnisse bestätigte.
Auch das Zwischenergebnis der Studie zur Sicherheit bestätigt bereits vorhandene Daten, z.B. des Global Simplicity Registers mit mehr als 3.000 Patienten: „Es gibt in den drei Monaten keinen Hinweis auf eine verminderte geräte- oder prozedurbezogene Sicherheit. Wir sehen ein erfreulich komplikationsarmes Verfahren. Man kann abschließend feststellen, dass die RDN in geübten Händen ein sicheres Verfahren ist“, sagt Prof. Dr. Joachim Weil, Direktor des Herz- und Gefäßzentrums, Chefarzt der Medizinischen Klinik II der Sana-Kliniken Lübeck und Leiter eines der Studienzentren der Pivotal-Studie.
Die Basislinie des Blutdrucks lag nach drei Monaten niedriger, und zwar konstant über den Verlauf von 24 Stunden. Dieser „Always-on“-Effekt konnte auch in den früheren Pilotdaten gezeigt werden. Der Effekt besteht auch nachts und frühmorgens, wenn aufgrund einer niedrigeren sympathischen Aktivität ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse besteht. „Durch die RDN wird offensichtlich die basale Sympathikusaktivität reduziert, während das Ansprechen auf akute Sympathikus-Stimuli erhalten bleibt, d.h. die Antwort auf körperliche und psychische Belastungen wird durch die Intervention nicht eingeschränkt“, so Prof. Böhm.
Damit unterscheidet sich die kontinuierliche Wirkung von RDN von der kurzen Wirkdauer von Medikamenten. „Viele Antihypertensiva werden 2 x am Tag verordnet, haben also eine kurze Halbwertzeit. Wenn Patienten ihre Medikamente unregelmäßig einnehmen, geht ein Teil des Wirkeffekts verloren. Um medikamentös eine kontinuierliche Absenkung des Blutdrucks zu erreichen, muss die Einnahme sehr regelmäßig erfolgen“, erklärt Prof. Weil. Gleichzeitig sei es eine Tatsache, dass 50% der Hypertoniker trotz Medikation einen unkontrollierten Blutdruck hätten.4 „Das kann verschiedene Gründe haben. Der kleinere Anteil der Patienten ist wahrscheinlich therapieresistent, fehlende medikamentöse Adhärenz spielt eine größere Rolle“, ergänzt Prof. Weil.
Der kontinuierliche Therapieeffekt der RDN könnte, hier sind sich Prof. Böhm und Prof. Weil einig, die kardiovaskuläre Morbidität bei Patienten senken, die die angestrebten Blutdruckziele auf andere Weise nicht konsequent erreichen können.
Die Studienautoren wiesen darauf hin, dass es sich bei den beobachteten Behandlungseffekten um konservative Schätzungen handeln könnte. Zum einen wurde aus Sicherheitsgründen das Follow-up bei den nicht medikamentös behandelten Patienten auf drei Monate begrenzt, um einen unethischen Medikamentenentzug zu vermeiden. Frühere Studien und das Global Simplicity Registry zeigten jedoch einen zunehmenden Behandlungseffekt zwischen 3 und 6 Monaten: „Es gibt keine Studie, in der es nach drei Monaten nicht weitergeht. Die kürzere Studiendauer der Pivotal-Studie könnte zu einer Unterschätzung des wahren Effektes der RDN sein, verursacht durch das Studiendesign“, erläutert Prof. Böhm.
Zweitens nahmen etwa doppelt so viele Patienten in der Scheingruppe (n=28) wie in der RDN-Gruppe (n=16) die Medikation auf Basis vordefinierter Sicherheitskriterien wieder auf. Bei diesen Patienten war entweder der systolische Blutdruck über 180 mmHg gestiegen, oder es hatten sich blutdruckbedingte Symptome oder Komplikationen gezeigt. So wurden mehr Patienten mit sehr hohem systolischen Blutdruck aus der Kontrollgruppe ausgeschlossen, im Ergebnis zum Nachteil der RDN-Gruppe. Gleichzeitig deutet diese Beobachtung darauf hin, dass in der RDN-Gruppe der Bluthochdruck vermindert werden konnte, während in der Kontrollgruppe Patienten wegen ansteigendem Blutdruck ausgeschlossen werden mussten.
Und drittens handelt es sich – ebenfalls begründet in den ethischen Vorgaben des Designs - bei der Zulassungsstudie um eine eher jüngere Patientengruppe (RDN: ø 52,4; Sham: ø 52,6) mit einem moderaten Hypertonus (RDN: ø 162,7 mmHg; Sham: ø 162,9 mmHg Praxis-SBD). „Wenn wir in die früheren Daten hineinschauen, sehen wir: Je höher der Ausgangs-Blutdruck, desto größer ist die Wirkung der RDN. Ich bin sicher, dass wir höhere Blutdrucksenkungen mit RDN bei Patienten mit durchschnittlich 170 mmHg Langzeitbluthochdruckmessung erzielt hätten“, konstatiert Prof. Weil.
Die Pivotal-Studie griff auf die Bayes`sche Statistik zurück. Zum Zweck einer effizienteren Datennutzung ermöglicht es das Design, die Patientengruppe aus der SPYRAL HTN OFF-MED Pilotstudie (n=80) in die gepowerte Pivotstudie (Patienten n=251) aufzunehmen und eine Gesamtpopulation (n=331) zu bilden.
Für die Pivotal-Studie wurde auf der Basis der vorherigen Pilotstudie für die RDN die Wahrscheinlichkeit definiert, nach drei Monaten zu 97,5% überlegen zu sein. Das Design sieht prädefinierte Interimsanalysen vor, in denen regelmäßig überprüft wird, ob die angenommene Wahrscheinlichkeit für die Überlegenheit erreicht wurde. Bei der SPYRAL HTN OFF-MED Pivotal-Studie wurde bereits in der ersten Interimsanalyse mit 331 Patienten (die letzte Analyse war bei 660 Patienten geplant) das Signifikanzkriterium mit einer Wahrscheinlichkeit der Überlegenheit von 99,9% vorzeitig erreicht, so dass die Studie frühzeitig beendet werden konnte.
„Damit besteht die Möglichkeit, eine Studie zeitsparend und ohne Verlust der Aussagekraft zu designen. Dies beschleunigt die Einführung von Innovationen in die Praxis. Zudem kann die Zahl der notwendigen Patienten reduziert werden, so dass weniger Patienten einer Scheinbehandlung ausgesetzt werden müssen“, erläutert Prof. Böhm. Deshalb sei das Vorgehen besonders für interventionelle Studien sinnvoll. „Dieses schlankere Design wird sich in Zukunft durchsetzen, weil es patienten- und innovationsfreundlich ist und gleichzeitig zuverlässige und aussagekräftige Ergebnisse produziert“, ist Prof. Böhm sicher.
Für die SPYRAL HTN-OFF Med Pivotal-Studie wird die Wirksamkeit und Sicherheit nun langfristig über drei Jahre nachverfolgt. Parallel ist die „gepowerte“ SPYRAL-HTN ON MED Pivotal-Studie5 mit komplementärem Design auf dem Weg, um den Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit von RDN auch bei Patienten mit unkontrollierter Hypertonie trotz antihypertensiver Medikation zu erbringen.
Townsend RR et al.: Catheter-based renal denervation in patients with uncontrolled hypertension in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED): a randomized, sham-controlled, proof-of-concept trial. Lancet 2017; 390: 2160–70.
DOI: 10.1016/S0140-6736(17)32281-X.
Kandzari DE et al.: Effect of renal denervation on blood pressure in the presence of antihypertensive drugs: 6-month efficacy and safetyresults from the SPYRAL HTN-ON MED proof-of-concept randomised trial. Lancet 2018;391:2346-2355. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)30951-6.
Böhm M et al.: Efficacy of catheter-based renal denervation in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED Pivotal): a multicenter, randomized, sham-controlled trial. Lancet 2020; May 2;395(10234):1444-1451. DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30554-7.
www.rki.de [Internet]. Berlin: Robert-Koch-Institut; Hoher Blutdruck: Ein Thema für alle. GBE Kompakt; abgerufen am 08. Juni 2020. Verfügbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsK/2015_4_bluthochdruck.pdf?__blob=publicationFile
NCT02439749