Interview mit Frau Prof. Dr. Sabine Bleiziffer
Der Aufbau einer TAVI-Prothese hat einen entscheidenden Einfluss auf die Hämodynamik und damit auf die Auswahl einer geeigneten Aortenklappe bei Patienten mit Aortenstenose. Eine supraanuläre Position sowohl bei chirurgischen Klappen als auch bei interventionellen Klappen ist mit verschiedenen Vorteilen verbunden, erklärt im Interview Prof. Dr. Sabine Bleiziffer, leitende Oberärztin und Leiterin des chirurgischen TAVI-Teams an der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen.
Frau Prof. Bleiziffer, wie kommt im klinischen Alltag ein Herzchirurg zur Entscheidung, welche Klappenprothese bei einem Patienten implantiert werden soll?
Prof. Sabine Bleiziffer: Wenn ein Herzchirurg eine chirurgische Aortenklappe auswählt, wird er prinzipiell zunächst versuchen, die größtmögliche Klappe zu implantieren. Je größer die Klappe, umso größer ist ihre Öffnungsfläche, was sich auf die hämodynamischen Eigenschaften positiv auswirkt. Lässt sich zum Beispiel eine 23mm-Klappe implantieren, ist man meiner Erfahrung nach schon auf der sicheren Seite. Müssen kleinere Klappen implantiert werden, zum Beispiel eine 21er- oder 19er-Klappe, kommt es auf die Patientengröße an. Eine 21er-Klappe in einer zierlichen Dame ist kein so großes Problem, in einem großen Mann allerdings schon. Bevor der Herzchirurg zur Entscheidung kommt, eine kleine Klappe einsetzen zu müssen, gibt es noch die Überlegung, ob der Patient möglicherweise für eine Anuluserweiterung infrage kommt. Das könnte ermöglichen, doch eine größere Klappe einzusetzen. Grundsätzlich haben wir ja die Möglichkeit unter verschiedenen Prothesenmodellen zu wählen – zum Beispiel zwischen supraanulären Klappen oder Klappen mit bestimmten hämodynamischen Eigenschaften, die dann in diesen ganz kleinen Größenbereichen bessere Öffnungsflächen haben.
WAS IST UNTER PATIENT PROSTHESIS MISMATCH ZU VERSTEHEN?
Bleiziffer: Mit Patient Prothesis Mismatch (PPM) beschreibt man die Situation, dass eine Herzklappenprothese zu klein für einen Patienten ist. Das hat zur Folge, dass die Öffnungsfläche zu klein für den erforderlichen Blutfluss, für das Herzzeitvolumen (HZV) ist, wodurch der Druckgradient über die Aortenklappe steigt. Aufgrund dieses erhöhten Gradienten hat der Patient alle möglichen hämodynamischen Nachteile, die in der Literatur unterschiedlich diskutiert und bewertet werden. Zum Beispiel kann mit einem zu hohen Gradienten eine reduzierte Belastbarkeit des Patienten einhergehen, die linksventrikuläre Massenregression ist im Vergleich zu einer geeignet großen Klappe nicht so ausgeprägt. Verschiedene Studien konnten auch zeigen, dass die Überlebensraten bei hohen Druckgradienten reduziert sind, und es wird diskutiert, dass die Haltbarkeit der Prothesen dadurch beeinträchtigt wird.
Wie lässt sich das PPM im klinischen Alltag nutzen?
Bleiziffer: Das PPM lässt sich mit einer gewissen Genauigkeit vorhersagen, aber nicht zu 100 Prozent. Die Berechnung erfolgt üblicherweise auf Basis von Öffnungsflächentabellen, die für die verschiedenen biologischen Klappenmodelle zur Verfügung stehen. Aus diesen Tabellen können Durchschnittswerte für die Öffnungsflächen der Prothesen ermittelt werden. Man muss verstehen, dass bei einer biologischen Prothese die Öffnungsfläche keine fixe, sondern eine dynamische Größe ist. Dennoch sind diese Tabellen hilfreich zur Vorhersage, ob bei meinem Patienten mit seiner individuellen Körperoberfläche die verwendete Prothese zu klein sein wird.
Lässt sich dieses Konzept des PPM für herzchirurgische Klappen auch auf Transkatheter-Aortenklappen übertragen?
Bleiziffer: Dieses Konzept findet tatsächlich zunehmend Interesse bei den Transkatheterklappen. Allerdings stehen noch nicht so viele Mittelwerttabellen zur Verfügung, so dass noch nicht genau bekannt ist, welche Bezugsgrößen geeignet sind. Was natürlich beim einzelnen Patienten immer machbar ist, nachdem die Klappe implantiert wurde, die tatsächliche Öffnungsfläche zu messen und in Bezug zur Körperoberfläche zu setzen. Das setzt voraus, dass nach der Implantation eine Ultraschalluntersuchung gemacht wird. Allerdings lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel korrigieren, weil die Klappe ja bereits implantiert ist.
WELCHE KRITERIEN HABEN VOR EINER TRANSKATHETERKLAPPEN-IMPLANTATION (TAVI) EINFLUSS AUF DIE AUSWAHL DES KLAPPENMODELLS?
Bleiziffer: Bei der TAVI ist die zu erwartende Hämodynamik ein wichtiger Faktor für die Auswahl des Prothesentyps. Um das beurteilen zu können, muss die Anatomie der nativen Klappen bewertet werden: wie ist die Kalklast, ist der Kalk asymmetrisch oder gleichmäßig verteilt, handelt es sich um eine bikuspide Klappe. Zusätzlich spielt eine Rolle, wie die Zugangswege für den interventionellen Eingriff sind, weil sich die Eigenschaften der Freisetzungssysteme der verschiedenen Klappenprothesen unterscheiden und bei den individuellen Zugangsanatomien der Patienten unterschiedlich geeignet sein können.
Wenn ich eine kleine Anatomie bei einem Patienten habe, schaue ich, ob ich eine supraanuläre Klappe implantieren kann. Dieses Vorgehen hatte ich ja schon analog für den chirurgischen Aortenklappenersatz erwähnt. Der Vorteil liegt in den größeren Öffnungsflächen und den damit verbundenen günstigeren hämodynamischen Eigenschaften. Das ist bei den TAVI-Klappen auch der Fall.
Geeignet ist die [EvolutTM PRO-]Klappe speziell bei Patienten mit asymmetrischer Kalkverteilung, bei bikuspiden Anatomien oder auch bei Valve-in-Valve-Prozeduren.
Prof. Dr. Sabine Bleiziffer
Gibt es aus ihrer Sicht eine TAVI-Klappe, die aufgrund ihrer Eigenschaften bei mehreren Ausprägungen einer Aortenstenose infrage käme?
Bleiziffer: Das sind aus meiner Sicht Prothesen mit einer supraanulären Architektur, die für unterschiedliche Anatomien in Frage kommen können. Ich finde solch einen Prothesentyp besonders geeignet, vor allem wenn er wie bei der EvolutTM-PRO-Klappe mit einer zusätzlichen Abdichtung durch einen Perikard-Umschlag Leckagen zusätzlich verringert. Geeignet ist die Klappe speziell bei Patienten mit asymmetrischer Kalkverteilung, bei bikuspiden Anatomien oder auch bei Valve-in-Valve-Prozeduren. Bei Letzteren haben wir immer ein Problem mit den Öffnungsflächen, da ist die supraanuläre Position der Prothese von Vorteil.